Zur Geistesverwandtschaft von Populismus und Autoritarismus

Populismus und Autoritarismus, Teil 2

Die populistische Verführung der Massen geht an den eigentlichen Interessen des Volkes vorbei. Sie schlägt logischerweise in offene Verachtung und Unterdrückung des Volkes um, sobald die populistischen Bewegungen ihr Ziel des Machterwerbs erreicht haben.

Was ist „Populismus“?

„Populismus“ … Wenn wir alles, was wir mit dem Konzept verbinden, von der Festplatte unseres Gehirns löschen könnten, würde der Begriff vielleicht folgende Assoziationskette bei uns auslösen: Populismus – lateinisch „populus“: das Volk, griechisch „demos“ – Demokratie – griechisch „Herrschaft des Volkes“. Demnach wäre dann also der Populismus lediglich ein anderes Wort für „Volksherrschaft“.

Wir wissen natürlich, dass diese Assoziationskette in die Irre führt. Richtig ist allerdings, dass sowohl „Demokratie“ als auch „Populismus“ auf das Volk als maßgebliche Instanz für die Machtausübung in einem Gemeinwesen hindeuten.

Ist der Populismus also schlicht die ungezähmte Schwester der Demokratie? Bezeichnet er – analog zur Unterscheidung zwischen „wildem“ und „organsiertem“ Streik – die Selbstermächtigung des Volkes, im Unterschied zur durch ausgeklügelte Wahlverfahren, Volksvertretungen und Gewaltenteilung geregelten Volksherrschaft in jenem Konstrukt, das wir als „Demokratie“ bezeichnen?

Zwar kommen wir mit dieser Unterscheidung den mit den Begriffen bezeichneten Phänomenen schon etwas näher. Dennoch fehlt bei dem spontanen Bestimmungsversuch noch etwas ganz Entscheidendes – nämlich der Aspekt von Führung und Verführung, der mit dem Konzept des Populismus untrennbar verbunden ist.

Das Autoritäre hinter der populistischen Maske

Das zentrale Element des Populismus ist eben gerade nicht die Selbstermächtigung des Volkes. Die populistische Machtergreifung beruht vielmehr umgekehrt darauf, dass das Volk – oder genauer: ein Komplex aus spezifischen Wünschen und Nöten eines Teils der Bevölkerung – von Einzelnen missbraucht wird, um die Macht in einem Gemeinwesen zu erlangen.

Dabei offenbart bereits die emphatisch-undifferenzierte Bezugnahme auf „das“ Volk den totalitären Charakter dieser Herrschaft. Indem die Vielgestaltigkeit der Bevölkerung negiert wird, kreieren populistische Bewegungen de facto selbst das Konstrukt, auf das sie ihre Herrschaft gründen. Die Behauptung eines einheitlichen „Volkskörpers“ verleiht den Machthabenden dabei eine quasi-religiöse Legitimation: Wer sie kritisiert, stellt sich damit quasi außerhalb des Volkskörpers und wird folglich als „entartet“ gebrandmarkt.

So betrachtet, stehen „Populismus“ und „Demokratie“ nicht für verwandte Formen von Volksherrschaft, sondern für entgegengesetzte Formen des politischen Umgangs mit dem Volk. Die Demokratie ist implizit stets mit Idealen wie Aufklärung und Mündigkeit verbunden, da anders eine reflektierte Mitbestimmung über die Belange des Gemeinwesens undenkbar wäre. Die populistische Verführung der Massen setzt dagegen gerade darauf, Emotionen und Ressentiments unter Umgehung der Bewusstseinsschranke anzusprechen.

Auf diese Weise ergibt sich eine organische Verbindung von Populismus und Autoritarismus. Die in der populistischen Verführung der Massen angelegte Missachtung der eigentlichen Interessen des Volkes schlägt logischerweise in offene Verachtung und Unterdrückung des Volkes um, sobald die populistischen Bewegungen ihr Ziel des Machterwerbs erreicht haben.

Die populistische Maske fällt dann und gibt den Blick frei auf die dahinter verborgenen autoritär-diktatorischen Züge. Das Volk wird damit hier zum Steigbügelhalter einer Herrschaft, die seine Interessen mit Füßen tritt.

Wenn einer von „da oben“ gegen „die da oben“ wettert

Dem entspricht auch, dass die selbst ernannten Volkstribunen zwar gerne gegen „die da oben“ wettern, oft aber selbst ein Teil des von ihnen kritisierten politischen Establishments sind. Dies war schon bei jenen so, auf die der Begriff des „Volkstribuns“ zurückgeht.

Im antiken Rom handelte es sich bei den Volkstribunen anfangs zwar um Vertreter der Plebejer, die für einen Interessenausgleich mit der patrizischen Führungsschicht sorgen sollten. In der Spätzeit der Republik wurde das Amt jedoch auch von Angehörigen der Oberschicht genutzt, um mit Hilfe des Volkes Entscheidungen des Senats im eigenen Interesse zu beeinflussen.

Populistische und revolutionäre Führer

Auch in späteren Jahrhunderten lagen Führung und Verführung der Massen eng beieinander. Insbesondere in revolutionären Bewegungen war und ist dies ein wichtiger Aspekt. Allzu oft treten jene, die dem Volk als Anführer der revolutionären Massen die Freiheit zu bringen versprechen, diese Freiheit mit Füßen, sobald sie die Macht errungen haben. Der Unterschied zwischen populistischen und revolutionären Bewegungen ist dann lediglich, dass in letzterem Fall der Glaube an die freiheitlichen Ziele vor dem Erringen der Macht echt ist, während diese Ziele in populistischen Bewegungen von Anfang an nur in zynischer Weise vorgetäuscht werden.

Ein Revolutionär kann sich also, einmal an der Macht, in einen populistischen Autokraten verwandeln. Dem populistischen Verführer der Massen ist der Hang zum autoritären Führertum dagegen schon vor dem Erwerb der Macht inhärent.

Im Unterschied zum revolutionären Anführer folgt der populistische Verführer auch nicht einer bestimmten Ideologie, sondern richtet sein politisches Programm in opportunistischer Weise an Umfragen und tagesaktuellen Bedürfnislagen aus. Die Kritik an den Machthabenden gründet zudem typischerweise nicht auf konstruktiven Alternativen, sondern ist mit Heilsversprechen verbunden, die mit der Realität zumeist herzlich wenig zu tun haben.

Literatur

Akel, Alexander: Strukturmerkmale extremistischer und populistischer Ideologien. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Baden-Baden 2021: Nomos.

Beigel, Thorsten / Eckert, Georg (Hgg.): Populismus. Varianten von Volksherrschaft in Geschichte und Gegenwart. Münster 2017: Aschendorff.

Dingeldey, Philip: A People’s Tribunate in a Populist Democracy? A Thought Experiment between Republicanism and Populism Re-visited. In: Mayr, Stefan / Orator, Andreas (Hgg.): Populism, Popular Sovereignty, and Public Reason, S. 71 – 84. Berlin et al. 2021. Lang (Central and Eastern European Forum for Legal, Political, and Social Theory Yearbook; 10).

Faber, Richard / Unger, Frank: Populismus in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 2008: Königshausen & Neumann.

March, Luke: From Vanguard of the Proletariat to Vox Populi: Left-Populism as a „Shadow“ of Contemporary Socialism. In: SAIS Review of International Affairs 27 (2007), no. 1, S. 63–77.

Möller, Kolja: Volksaufstand & Katzenjammer. Zur Geschichte des Populismus. Berlin 2020: Wagenbach.

Thommen, Lukas: Populus, plebs und populares in der römischen Republik. In: Faber/Unger (2008), S. 31 – 41.

Bild: Ilka Hoffmann: Collage

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