Wenn menschliche Nähe zur Bedrohung wird

Zu möglichen Langzeitfolgen der Corona-Pandemie

Durch das Coronavirus sind wir auf einmal alle in einem Horrorfilm erwacht. Die unsichtbare und selbst von Virologen nicht genau abschätzbare Bedrohung, die von dem Virus ausgeht, hat etwas ausgesprochen Unheimliches an sich. Umso wichtiger ist es, überlegt zu handeln und auch die langfristigen Folgen der ergriffenen Maßnahmen im Auge zu behalten.

Inhalt
Ein unsichtbarer Gegner
Soziale Folgen des Umgangs mit dem Virus
Coronavirus und Klimawandel

Ein unsichtbarer Gegner

Wahrlich, wir leben in unheimlichen Zeiten! Wir brauchen nur vor die Tür zu gehen, und schon ist unser Leben in Gefahr. Denn draußen lauert der Tod.
Nun ist das im Prinzip nichts Neues. Schon früher war klar: Sobald wir die Haustür hinter uns schließen, kann uns der Himmel auf den Kopf fallen. Herrenlose Blumentöpfe, die, der Schwerkraft folgend, unser Hirn heimsuchen, und niesende Nichtsnutze machten das Leben jenseits unserer Wohnungsburgen auch ohne Pandemie zu einem unkalkulierbaren Risiko.
Der Tod, der uns jetzt vor den Türen auflauert, ist allerdings ein ganz besonderer Fiesling. Er hat sich eine XXL-Tarnkappe aufgesetzt, durch die wir ihn weder sehen noch hören noch riechen können. So kann er neben uns, bildlich gesprochen, Tornados auf die Reise schicken, Tsunamis von der Leine lassen oder Vulkane in die Luft jagen, ohne dass wir auch nur das Geringste davon mitbekommen – bis die Folgen dieser Naturgewalt auf unseren eigenen Körper treffen.
Noch schlimmer als dieser immaterielle Charakter der Bedrohung ist womöglich die Tatsache, dass unser Gegner sich auch fremder Materie bedienen kann, um in unseren Körper einzudringen. Menschen, die uns ein warmes Lächeln schenken, Freunde, Familienmitglieder, enge Bekannte, gerade jene, die uns lieb und teuer sind – sie alle können zum trojanischen Pferd werden, mit dem der fiese Feind das Tor zu unserem Körper überwindet.
Und nicht nur das: Auch wir selbst können von ihm gekapert werden. Auch wir können zur tödlichen Waffe werden, die Verderben bringt, wo wir uns selbst solidarisch und hilfsbereit wähnen oder einfach unserem Urbedürfnis nach Nähe nachgeben.

Soziale Folgen des Umgangs mit dem Virus

Es ist verständlich, dass sich vor diesem Hintergrund Gefühle der Hilflosigkeit und der Ohnmacht breitmachen. Es ist verständlich, dass drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Krise ergriffen werden. Es ist verständlich, dass das öffentliche Leben mehr und mehr zum Erliegen kommt.
Dennoch stellt sich die Frage, welche Langzeitfolgen diese Entwicklungen zeitigen werden. Schon jetzt ist ja zu beobachten, dass die allgemeinen Tendenzen einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und einer Abschottung nach außen durch das Virus verstärkt werden. Menschen mit asiatischen Gesichtszügen – und bald wohl auch Menschen mit italienisch klingenden Namen – werden gemieden. Flüchtlinge, die schon vor der Krise von rechtsextremer Seite als „Mikrobenschleudern“ diffamiert worden sind, erscheinen nun erst recht suspekt.
Wie das Virus politisch instrumentalisiert werden kann, hat exemplarisch mal wieder der Hohepriester der Xenophobie und Abschottung, Donald Trump, vor Augen geführt. Der Reiseverkehr zu den Schengenstaaten wird unterbrochen, der zu Großbritannien dagegen nicht. Aus virologischer Sicht ergibt das keinen Sinn. Dafür lässt sich auf diese Weise einmal mehr die Populisten-Botschaft von der angeblichen Gefährlichkeit offener Grenzen verbreiten.
Allerdings braucht es in diesem Fall gar keinen Donald Trump für eine Vergiftung des sozialen Klimas. Auch ohne populistisches Dazwischengrätschen wirft der Umgang mit dem Virus eine Reihe von Fragen auf: Welche Auswirkungen wird es auf den Kontakt mit anderen haben, wenn jede zwischenmenschliche Begegnung oder gar – man traut es sich ja kaum auszusprechen – körperliche Nähe über Monate hinweg als potenzielle Bedrohung hingestellt wird? Werden wir danach alle unter einem pathologischen Waschzwang leiden? Werden wir uns von allen, die uns nahe kommen wollen, erst einmal Impf- und Reisepass zeigen lassen? Oder werden wir wieder wie früher sorglos das Wagnis menschlicher Nähe eingehen?

Coronavirus und Klimawandel

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Je schwerer eine Krise ist, desto größer ist unsere Neigung, altbekannte, scheinbar bewährte Handlungsmuster zu verstärken. Wir flüchten uns in tradierte Verhaltensweisen, um dem Unbekannten, das uns bedroht, etwas Bekanntes entgegenzusetzen.
Die subjektive Sicherheit, die wir daraus ziehen, kann uns objektiv jedoch zum Schaden gereichen. Zu denken ist dabei insbesondere an die wirtschaftspolitischen Reaktionen auf die Krise. Diese folgen größtenteils demselben Muster wie nach der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise, als mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ die Konjunktur angekurbelt werden sollte. Dadurch drohen wir den „Kollateralnutzen“ zu verspielen, den die Krise uns in den Schoß legt.
Richtig ist: Insbesondere zahlreiche kleine und mittlere Betriebe geraten durch die weitgehende Lahmlegung des öffentlichen Lebens in existenzielle Not. Hier sollte den Betroffenen in der Tat schnellstmöglich mit Steuererleichterungen und unbürokratisch gewährten Finanzhilfen Luft verschafft werden.
Auf der anderen Seite bewirkt die Krise aber auch Verhaltensänderungen, die uns beim Kampf gegen den Klimawandel nützlich sein können. Auch dieser ist ein Feind mit Tarnkappe, auch er kann, wie bekannt, unser Leben auf den Kopf stellen, ohne dass wir bemerken, wie unser Gegner sich anschleicht. Der Unterschied ist nur: An den Folgen werden in erster Linie nicht wir selbst leiden, sondern die kommenden Generationen. Deshalb ist es in diesem Fall auch weit schwieriger, unter Hinweis auf die unsichtbar-unheimliche Bedrohung Verhaltensänderungen in die Wege zu leiten.
Umso wichtiger wäre es, die jetzt zu beobachtenden Umorientierungen zu verstetigen. Die Krise zwingt uns hier gewissermaßen zu einem Drogenentzug. Und siehe da: Es geht auch ohne samstäglichen Konsumrausch und ohne den Kurztrip nach Barcelona. Auch Brettspielnachmittage können spannend sein, und wer genau hinschaut, kann auch im Stadtpark Neuland entdecken, bei all den Blumen, Bäumen, Vögeln und Insekten, an denen man bislang vielleicht achtlos vorbeigegangen ist. Womöglich fühlen manche sich insgeheim sogar erleichtert, dass sie jetzt nicht mehr mit hippen Instagram-Fotos beweisen müssen, bei allen Reise- und Modetrends dabei zu sein.
In dieser Einfachheit, die das Virus uns durch die für seine Eindämmung nötigen Beschränkungen auferlegt, liegt eine Chance, die wir nicht ungenutzt lassen sollten. Eine Chance für ein umweltfreundlicheres Leben, das langfristig auch den Klimawandel eindämmen helfen könnte. Versuche, um buchstäblich jeden Preis das Modell einer Konsum- und Wachstumswirtschaft zu erhalten, bewirken hingegen das Gegenteil. Sie werden dazu führen, dass der Klimawandel durch das Virus allenfalls eine kurze Pause einlegt und sich danach mit umso größerer Gewalt beschleunigt

Bild: PublicDomainPictures: City (Pixabay)

8 Kommentare

  1. Das sind wirklich interessante Gedanken.“Auch Brettspielnachmittage können spannend sein, und wer genau hinschaut, kann auch im Stadtpark Neuland entdecken, bei all den Blumen, Bäumen, Vögeln und Insekten, an denen man bislang vielleicht achtlos vorbeigegangen ist. Womöglich fühlen manche sich insgeheim sogar erleichtert, dass sie jetzt nicht mehr mit hippen Instagram-Fotos beweisen müssen, bei allen Reise- und Modetrends dabei zu sein.“ – Sie müssen wirklich ein Menschenfreund sein und positiv auf das Leben blicken. Ich sehe schon gestresste Eltern, geschiedene Ehen und Familien, die sich anöden. Hoffe aber auf das postive Szenario. Vor allem: Leben und Genießen fern von ständigem Turbo-Konsum. Das wäre gut für Natur und Klima!

    Gefällt 2 Personen

  2. Ich habe insbesondere den letzten Abschnitt mit gemischten Gefühlen gelesen. Es fällt mir nicht schwer zuzustimmen, da ich meinen eigenen Lebensstil in Coronazeiten nicht wesentlich ändern muss. Er war, sieht man von Konzert- und Museumsbesuchen ab, bereits vorbildlich. Dennoch ist es nicht gut, dass die Lebensweise der meisten Menschen durch eine Art Ausnahmezustand „reformiert“ wird. Es gibt eine Reihe von Pressebeiträgen, die triumphierend bemerken, dass Corona geschafft habe, was das Klimawandelweltuntergangsszenarium nicht vermocht habe, und wie Corona der lahmen Bundesregierung Beine gemacht habe. Dabei wird übersehen, dass viele Menschen einen hohen Preis zahlen müssen und dass das Pendel mit derselben Heftigkeit in die entgegengesetzte Richtung zurückschlagen wird. Auch Habecks Freude, dass die Austeritätspolitik nun ihr Ende finden müsse und wir nun endlich wieder auf Kosten künftiger Generationen leben dürften, finde ich bedenklich. Er spricht von Investitionen und ich denke mit Grauen daran, wenn ich mir vorstelle, wie die von ihm gewünschten Investitionen aussehen dürften.

    Gefällt 1 Person

    1. Dieses von Habeck angesprochene „Investitionsprogramm“ muss einem tatsächlich Sorgen machen. Die Grünen wollen ja keine Einschränkung des Konsums, sondern den vermeindlich reuelosen Konsum. Dass es so ein „grünes Wachstum“ nur in ihren gentrifizierten Träumen gibt, ist ihnen noch nicht klar.

      Gefällt 1 Person

      1. Ich denke, dass die Grünen, so wie sie jetzt im Ergebnis einer mehrjährigen Metamorphose geworden sind, durchaus wissen, was sie tun, und dass es ihnen ausschließlich um Wachstum geht, wobei die grüne Farbe es ihnen ermöglicht, dieses Wachstum einer Wählerschicht schmackhaft zu machen, die gerne mit einem guten Gewissen konsumiert, um sich auf diese Weise einen doppelten Genuss zu verschaffen.
        Die SPD hat gelernt, dass Ausbeutung und Unterdrückung sich in roter Verpackung gut verkaufen, und die Grünen haben gelernt, dass Wachstum und Umweltzerstörung in grünem Einwickelpapier am besten an den Mann oder an die Frau gebracht werden kann. Kapitalismus muss nicht schwarz sein.

        Gefällt 2 Personen

Schreibe einen Kommentar