No pasarán! Die Freiheit der Katalanen ist auch unsere Freiheit

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Als die Griechen sich in den 1820er Jahren gegen die osmanischen Herrscher erhoben, waren ihnen die Sympathien aller freiheitsliebenden Europäer gewiss. Dass der Unabhängigkeitskampf letztlich von Erfolg gekrönt war, hing zwar auch mit der Unterstützung anderer europäischer Großmächte zusammen, die sich von einer Schwächung des Osmanischen Reiches strategische Vorteile versprachen. Dennoch wirkte das glückliche Ende des Befreiungskampfes wie ein Fanal, das auch in anderen Ländern nationale Erhebungen befeuerte. Auch die Freiheitsbestrebungen des deutschen Vormärz waren hiervon beeinflusst. Mittelbar war der griechische Unabhängigkeitskampf damit auch ein Katalysator für das Frankfurter Paulskirchenparlament, die Wiege der deutschen Demokratie.

Individuelle Freiheitsrechte und das Recht auf nationale Selbstbestimmung – im 19. Jahrhundert waren sie untrennbar miteinander verbunden. Dies folgt auch einer inneren Logik. Denn was nützt einem die schönste Meinungsfreiheit, wenn man seine Meinung nicht in der eigenen Sprache äußern darf? Wozu dient das Recht auf Bildung, wenn die eigene Kultur und Geschichte davon ausgeschlossen sind? Was hat man von unternehmerischer Freiheit, wenn man damit einen Staat unterstützt, der das eigene Volk unterdrückt?

Vor diesem Hintergrund muss es nachdenklich stimmen, dass nationale Unabhängigkeitsbestrebungen schon seit geraumer Zeit weltweit verunglimpft und regelmäßig in die Nähe terroristischer Aktivitäten gerückt werden. Das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak? Gefährlich – die Kurden werden einstweilen noch als Kanonenfutter für den Krieg gegen den IS benötigt. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten? Egoistisch – die Briten haben schon genug Scherereien mit dem Brexit. Das Unabhängigkeitsreferendum der Katalanen? Verfassungswidrig – die Katalanen sollen sich mit ihren Autonomierechten begnügen.

Wer so argumentiert, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er damit auf einer Linie liegt mit der Minderheitenpolitik der meisten großen Hegemonialmächte der Geschichte. Diese hatten und haben nicht nur ein ökonomisches Interesse an der Unterdrückung nationaler Minderheiten. Vielmehr haben sie auch stets ein Gespür für den Zusammenhang zwischen dem Streben nach nationaler Selbstbestimmung und dem Ruf nach individuellen Freiheitsrechten – und halten die nationalen Minderheiten folglich auch aus Angst vor einer Ausbreitung des Freiheitsvirus klein.

Die Art und Weise des Umgangs mit den Minderheiten folgt dabei wiederkehrenden Mustern. So wird die Verweigerung kultureller Autonomie oft von der schlichten Leugnung der Existenz der nationalen Minderheit begleitet. Wie etwa die von Russland und Preußen im Zuge der polnischen Teilungen besetzten Gebiete als „Weichselland“ bzw. „Pommerellen“ fungierten und so der Gedanke an die dort lebenden Polen unterdrückt werden sollte, bezeichnete man in der Türkei die Kurden lange Zeit als „Bergtürken“. Und in Spanien gilt „Katalanisch“ zwar als „Nationalität“ – als eigenständige „Nation“ dürfen sich die Katalanen gemäß der spanischen Verfassung aber ausdrücklich nicht bezeichnen.

Flankiert wird diese Leugnung des Andersartigen in der Regel von gezielten Ansiedlungsprogrammen, durch die Angehörige des staatstragenden Volkes in den entsprechenden Gebieten die Oberhand gewinnen sollen. Dies war im Falle der Germanisierungs- bzw. Russifizierungspolitik im geteilten Polen nicht anders als heute in Tibet, wo die Zuwanderung von Han-Chinesen massiv gefördert wird.

Oft ist zu hören, dass in einer global und kontinental immer stärker zusammenwachsenden Welt Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Volksgruppen einen Anachronismus darstellen. Dabei ist das eine vielleicht gerade eine Folge des anderen. Je größer die transnationalen Verbünde sind, desto mehr wächst gerade bei kleineren Nationen und entlegenen Regionen die Sorge, dass ihre Interessen und kulturellen Besonderheiten darin nicht angemessen zur Geltung gebracht werden können. Dies gilt gerade dann, wenn es sich um Nationen handelt, die Teil eines anderen Staates sind und bei der Vertretung ihrer Interessen auf dessen Vermittlung angewiesen sind.

Im Falle Kataloniens gibt es seit dem Ende der Franco-Diktatur zwar ein Autonomiestatut, das den Katalanen weitreichende Selbstbestimmungsrechte einräumt. Man kann daher gewiss nicht sagen, dass die katalanische Sprache und Kultur unterdrückt sind. Ob man der Meinung ist, dass das eigene Volk sich als Teil eines Staates, der von einer anderen Nation dominiert wird, hinreichend entfalten kann, hängt jedoch noch von anderen Faktoren ab. So fühlen sich die Katalanen als Nettozahler durch ein Finanzsystem belastet, in dem sie das Zehnfache dessen an den Zentralstaat abzuführen haben, was ein vergleichbares deutsches Bundesland an den Bund überweisen muss.

Vor allem aber hat ein Großteil der Katalanen durch die Art und Weise, wie 2010 das erweiterte Autonomiestatut vom spanischen Verfassungsgericht zusammengestrichen worden ist, das Vertrauen in den spanischen Staat verloren – denn das Autonomiestatut war vier Jahre zuvor bereits vom spanischen Parlament ratifiziert, vom König unterzeichnet und von den Katalanen in einem Referendum mit großer Mehrheit angenommen worden. Erst der Einspruch der Volkspartei, des Partido Popular, vor dem Verfassungsgericht hat diesen historischen Kompromiss zwischen Zentralstaat und katalanischer Autonomiebewegung zu Fall gebracht.

Eben diese Volkspartei ist nun als Regierungspartei auch für das aggressive Vorgehen gegen das katalanische Unabhängigkeitsreferendum verantwortlich. Sie weckt damit in der katalanischen Bevölkerung Erinnerungen an die Zeit der Franco-Diktatur, die sich in Katalonien erst nach blutigen Kämpfen gegen die Volksfront sowie ihren anarchistischen Zweig in Barcelona durchgesetzt hat. Zwar war das 1932 beschlossene Autonomiestatut bereits 1934 – schon damals infolge katalanischer Unabhängigkeitsbestrebungen – außer Kraft gesetzt worden. Aber erst unter Franco kam es zu einer systematischen Unterdrückung der katalanischen Sprache und Kultur. Auch dies erklärt die rasche Eskalation der Auseinandersetzung: Sie hat Wunden aufgerissen, die aufgrund der zögerlichen Aufarbeitung der Franco Diktatur noch kaum verheilen konnten.

In einer derart verfahrenen Situation könnte die Europäische Union endlich einmal die Vorschusslorbeeren, die ihr durch die Verleihung des Friedensnobelpreises eingeräumt worden sind, rechtfertigen. Es könnte so einfach sein: Katalonien wird unabhängig, bleibt aber als Teil der EU unverändert in den europäischen Wirtschafts- und Kulturraum eingebunden und verliert dadurch auch nicht die Anbindung an den spanischen Staat, mit dem es personell, ökonomisch und kulturell eng verflochten ist. Spanien wird für den Verlust der Transferzahlungen aus Katalonien durch zusätzliche Mittel aus Brüssel entschädigt.

Aber was tut die Europäische Kommission? Sie schweigt! Allenfalls lässt sie durchblicken, dass Katalonien sich im Falle einer Unabhängigkeit erst erneut um eine Mitgliedschaft in der EU bewerben müsste – die dann, angesichts des Einstimmigkeitsprinzips und der zu erwartenden spanischen Blockadehaltung, wohl eine rein theoretische Option wäre. De facto unterstützt die EU damit den Status quo. Da nun aber das nationale Selbstbestimmungsrecht und individuelle Freiheitsrechte eng miteinander verbunden sind, büßt sie auf diese Weise allgemein ihre Glaubwürdigkeit ein, die auf ihrem Selbstverständnis als menschenrechtsbasierter Wertegemeinschaft beruht.

Von ihren Strukturen her böte die EU sehr wohl die Voraussetzungen für ein Europa der Regionen, in dem kulturelle Vielfalt und politischer Zusammenschluss in einem wegweisenden Friedensprojekt zusammenfinden. Sie könnte ein Vorbild für die Verständigung zwischen den Völkern sein, indem sie durch einen Abbau bürokratischer und ökonomischer Hürden die nötigen Freiräume für die Entfaltung kultureller Autonomie in den Regionen schaffen würde. Stattdessen unterstützt sie aber sowohl direkt – durch die Regulierungswut der Europäischen Kommission – als auch indirekt – durch die Subventionierung von Ländern wie Polen und Ungarn, die gerade in autoritäre Regime transformiert werden – Fremdbestimmung und hierarchische, unterdrückerische Strukturen.

Wo die Europäische Union dem Abbau von Konflikten dienen könnte, heizt sie diese demnach noch zusätzlich an. Die Erneuerung der EU, von der derzeit so viel die Rede ist, dürfte daher nicht in erster Linie auf einer Stärkung transnationaler Strukturen beruhen. Vielmehr müsste der Akzent zunächst auf dem Aufbau von Vermittlungsinstanzen liegen, durch welche die europäischen Regionen direkter an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden könnten. Ein Konflikt wie der um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum könnte dann bereits im Vorfeld entschärft werden.

Bild: General Franco bei der Siegesparade nach der Einnahme Barcelonas am 26. Januar 1939

 

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